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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 4
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0238

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P, LAPRAÜE, STILLEBEN

Indessen — die Leitung konnte nicht Das bringen, was sie
sucht und suchen muß: einen Überblick über das künstle-
rische Schaffen unserer Nation, sondern nur Das, was
man ihr zufällig anbot: eine Marees-Aussrellung. Damit
war weder uns Deutschen noch auch den Franzosen ge-
dient. Eine Entwicklunglinie sollte gezogen, Dokumente
von den bestimmenden Vorgängen in der deutschen
Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts sollten gegeben,
eine Reihe starker, ausgereifter Persönlichkeiten sollte
vorgestellt werden, — nicht aber ein Problematiker.
Meyer-Gräfe und Grautoff haben geschickt ausge-
wählt und waren sowohl im Arrangement wie in
der Propaganda gute Regisseure. Die Frage ist aber,
ob ihr Unternehmen richtig war, ob es für uns das
Richtige war. Man darf antworten: nein. Ich bin
auch in der französischen Kunstwelt kein Barbar und
erlaube mir, die Stimmen über Marees anders zu lesen
und zu hören als Grautoff. Mir klingt aus ihnen nur
kühle, höfliche Duldung entgegen. Unser Kunstschaffen
aber kann mehr verlangen. Wenn Meyer-Gräfe sich
mit einem Künstler beschäftigt, so ist für ihn im ganzen
Universum, in den alten wie in den neueren Lauften,
dies der einzig wahre, der einzig existierende Künstler.
Ein solcher Fanatismus ist sein gutes Recht; wir aber
sind nicht verpflichtet, die Liebhabereien Meyer-Gräfes
mitzumachen.

Über die französische Mission des Marees lässt sich
immerhin reden; jedoch gar nicht reden lässt sich über
dieUnterriehmungeinigerMittelmäßigkeiten, die sich als

AUSG. IM l'AÜISKK HKKBSTSAI.ON

Vertretung deutscher Kunst
in einem besonderen Räume
des Herbstsalons niederge-
lassen haben. Zumeist Fran-
zöslinge kleinsten Kalibers.
Diese Herren und Damen
haben einfach die weit-
gehende, politisch empfind-
liche Nachsicht der Salonjury
missbraucht. Bei der Pariser
Kritik, die politisch weniger
empfindlich ist, haben sieSpott
geerntet, und die Kritik hat
ganz recht. Die Herren Beck-
mann, Schocken und Konsor-
ten sollten erst in Deutsch-
land das Tanzen lernen , ehe
sie nach Rhodus gehen. Gott
weiss durch welches Ungefähr
DoraHitz in diese Schreckens-
kammer verschlagen wurde.
Ihre leuchtende,, Weinernte",
ihre zarten Porträts von„Mut-
ter und Kind", Zeugnisse ma-
lerischer Verjüngung, hätten
wahrlich ein besseres Schicksal
verdient.
13 erlin. — Unter den Berliner Kunstausstellungen des
vergangenen Monats verdient, neben der Schwarz-
Weiss-Ausstellung der Sezession, besondere Erwähnung
die Cezanne Ausstellung bei Paul Cassirer. Doch ist in
diesen Blättern so oft von Cezanne die Rede gewesen,
dass eine ausführliche Charakterisierung seiner Kunst bei
dieser Gelegenheit nicht mehr notwendig erscheint. Der
Gesamteindruck dieser Ausstellung, die schon Bekanntes
und bedeutend Neues brachte, war sehr ernst und nach-
haltig. Es sprach in den stillen Räumen ein von den welt-
lichen Interessen der Gesellschaft reinlich gelöster Mensch
zu Einem, eine der ganz im wesentlichen versunkenen
Naturen. Es ist unmöglich die Werke dieses „Genies ohne
Talent", wie Liebermann einmal gesagt hat, ohne Ehr-
furcht zu betrachten. Ein noch unbekanntes Selbstporträt,
courbethaft dunkel und kühn im dramatisch reichenPinsel-
spiel heruntergemalt, zeigte einen hochgestirnten, vom
Adel des Genies verklärten Shakespearekopf mit fast Rem-
brandtischerIntensität. VordiesemBildnis sollte der kalte
Betrachter verweilen, dem die Cezanneschen Bilder nur als
Gobelins, nur als schöne dekorativeFarbentafeln erschei-
nen. Denn wenn irgendwo, so muss er Aug in Aug
mit diesem stillen Menschen der Tiefe erkennen, dass
dessen Kunst bis zum Bersten voll ist von Seele und
Naturideen, von verhehlter Dramatik, elastischer Span-
nung und unauffälliger Majestät, dass in ihr das sym-
phonische Gewoge einer zweiten, zur Kunstgewordenen
Natur ist und dass selbst ihre Problematik noch mit
Harmonie gesättigt ist. K. S.

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